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Rede von Mumia: "Nach dem Fall" (deutsche Übersetzung)

[11/19/20. ©'20 Mumia Abu-Jamal]

Liebe Freunde, wie geht es euch?

Mumia Faust Jetzt, wo sich die ganze Aufregung um die US-amerikanischen Wahlen zu legen beginnt, ist es an der Zeit darüber nachzudenken, was da eigentlich passiert ist. Was es für die USA selbst und den Rest der Welt bedeutet, dass ein moderner kapitalistischer Staat mit dem Neofaschismus flirtet, der dann aber von einer Mehrheit der Wähler abgelehnt wird.

Ich lasse mich bei meiner Analyse von dem im Juni 2017 erschienenen Artikel "Das ist kein Populismus" (1). leiten – Autor ist der Herausgeber der Monthly Review, John Bellamy Foster Er liefert darin eine historische, ideologische und ökonomische Einordnung des Wiederauftauchens neofaschistischer Bewegungen und politischer Tendenzen im Westen und erläutert, warum es gerade jetzt zu diesem Wiederauftauchen kommt.

Foster stellt fest, dass der Faschismus sich aus simplen Elementen zusammensetzt: gesteigerte Fremdenfeindlichkeit, Ultranationalismus, Wurzeln in der unteren Mittelschicht und privilegierten Sektoren der Arbeiterklasse sowie ein Bündnis mit dem Monopolkapital (Foster, 1).

Trotz des Erscheinens nur einige Monate nach Beginn der Trump-Administration liefert Foster darin wichtige Einblicke in das Wesen des Faschismus und seiner geistigen Ursprünge und zeigt, wie der Faschismus den Trumpismus durchzieht. Dabei nennt er zwei Hauptquellen: den italienischen Philosophen Julius Evola (1898-1974), der eine Reihe einflussreicher Texte schrieb, und den französischen Schriftsteller Jean Raspail, Verfasser des wichtigen Romans Das Heerlager der Heiligen, (2). in dem er die Bedrohung Europas durch den massenhaften Einfall schmutziger Horden aus der ehemaligen Dritten Welt beschreibt.

Foster schreibt, dass wichtige Figuren der extremen Rechten, für die wahrscheinlich Steve Bannon das prominenteste Beispiel ist, bei Trump ein offenes Ohr fanden, weil dieser so begierig Verschwörungstheorien konsumiert wie andere Menschen ihr Mittagessen.

Evola war der Meinung, der Faschismus könne nur aufgebaut werden, indem er durch die Ausnutzung "unterhalb des Intellekts angesiedelt[er]" Leidenschaften "Einfluss auf die Massen" gewinnt (Foster, 10). Diese "unterintellektuellen" Kräfte, so Evola, könnten faschistische Revolten gegen die Demokratie, moderne Vorstellungen von Fortschritt und sogar die Wissenschaft antreiben. Weiter zitiert Foster folgende Aussage aus Evolas 1961 erschienenen Nachkriegswerk Den Tiger reiten: "Keine der modernen Wissenschaften hat auch nur den geringsten Erkenntniswert." (3)

Evola war kein weltabgewandter Philosoph, der einfach so in den Tag hineinschrieb, sondern er kannte Italiens Duce Benito Mussolini, Deutschlands Führer Adolf Hitler und ihre jeweiligen politischen Parteien und arbeitete mit ihnen zusammen. Tatsächlich war er sogar der Ansicht, Mussolini, der faschistische Ministerpräsident Italiens, sei ideologisch gesehen nicht faschistisch genug!

Seine Ideen haben in den neofaschistischen Bewegungen im Europa und den USA von heute eine Wiedergeburt erlebt. Sie scheinen bei einem rechten Publikum grossen Anklang zu finden, ausserdem bei vielen, die sich Trump angeschlossen und seine wissenschaftsfeindlichen Ideen geschluckt haben, zum Beispiel, dass Coronavirus nur ein "Schwindel" sei und mit dem warmen Sommerwetter verschwinden würde (da sind sie wieder, die "Leidenschaften, die unterhalb des Intellekts angesiedelt sind").

Und ungeachtet der "unterintellektuellen" Leidenschaften bei den Trump-Anhängern gibt es bei ihnen sehr wohl auch ein Bewusstsein darüber, dass die neoliberalen Kräfte, die jetzt in der Demokratischen Partei an der Spitze stehen, die "weisse" Arbeiterklasse betrogen haben, als sie das Nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA unterzeichneten. Es war ein Geschenk an die Finanzhaie der Wall Street und ein Dolch im Rücken der amerikanischen Arbeiter*innen.

Mit seinem Wettern gegen NAFTA (und damit gegen die Demokratische Partei) sammelte Trump Punkte bei US-Neofaschisten wie Bannon, die diesen Verrat der Demokraten nutzten, um Unterstützung für die "alternative Rechte" zu gewinnen, indem sie argumentierten, "die Globalisierer" hätten "die amerikanische Arbeiterklasse kaputtgemacht und dafür eine Mittelklasse in Asien geschaffen" (Foster, 14). Die wirkliche Zielscheibe dieser Zeilen Bannons war die neoliberale Politik, die "die amerikanische Arbeiterklasse kaputtgemacht" habe und die in der Tat den Transfer von Kapital aus dem Westen nach allen Ecken und Enden Asiens bedeutete, wo eine riesige Quelle billiger Arbeitskräfte auf das Kapital wartete.

Während die wirtschaftliche Krise – sichtbar gemacht durch den Coronavirus - über die Städte im Westen hereinbricht und das wirtschaftliche Leben nahezu vollständig untergräbt, sehen wir in den Bevölkerungen dieser Länder neofaschistische Bewegungen auftauchen, die eigentlich ein Schrei nach Erlösung sind, der sich an das Grosskapital und die mit ihm verbündeten repressiven Regierungen richtet.

Foster erinnert uns daran, dass Nazideutschland um 1938 herum Vollbeschäftigung erreicht hatte, wenn auch mit einem System der Massenunterdrückung, dessen Ausmass sich dann als monströs herausstellte (Foster, 8). Ferner ruft er uns ins Gedächtnis, dass der Faschismus seinem ureigenen Wesen nach immer mit dem Kapitalismus selbst konform ist.

Aus einer Analyse der Entwicklung des Neoliberalismus in den USA lernen wir, dass seine Gier dem Kapital zu dienen, nur durch den gleichzeitigen Verrat an der Arbeiterbewegung (der an der Propagierung von NAFTA besonders deutlich wird) gestillt werden konnte, eine Entwicklung, die unvermeidlich und in Reaktion darauf zum Neofaschismus führt.

Das heisst, dass der Neoliberalismus aufgrund seiner Ergebenheit gegenüber dem Kapital in seiner politischen Ausrichtung grundsätzlich konservativ ist. Indem er sich gegen die Interessen der Arbeiterklasse stellt, verleiht er neofaschistischen Alternativen mit ihrer gesteigerten Fremdenfeindlichkeit, ihrem Ultranationalismus, ihrer Ansprache an die unteren Mittelschichten und ihrem Appell an "unterintellektuelle Leidenschaften" unverdienten neuen Glanz. Dabei beschreibt diese Formulierung Evolas recht gut die Massenversammlungen und die Millionen von Wähler*innen, die dafür sorgten, dass Trump 2016 auf einen Wahlsieg hoffen konnte und die jetzt fast seine Wiederwahl ermöglicht hätten.

Sie nahmen mitten in einer Pandemie, oft ohne Masken, an Grossveranstaltungen teil und schufen so "Super-Spreader-Events", nur weil ihre Führer das Virus als "Schwindel" bezeich­neten.

Also sind Neoliberalismus und Neofaschismus, obwohl sie scheinbar politische Gegensätze darstellen, in Wirklichkeit letztlich enge Verwandte, die bloss in verschiedenen Kostümen auftreten. Wann immer wir an den Neoliberalismus denken, sehen wir den Verrat durch NAFTA und den Aufbau brutaler Institutionen wie der Masseninhaftierung. Während für die eine Variante von Politik wüste rassistische Ausbrüche und Klans-Fackeln charakteristisch sind, flüstert die andere Variante den Menschen süsse Worte ins Ohr, vernichtet aber zugleich Arbeitsplätze und greift ebenfalls zu rücksichtsloser Unterdrückung.

Denn beide dienen nun einmal ein und demselben Herrn: dem Monopolkapital.

Auf Wiedersehen!
Mumia Abu-Jamal


1: John Bellamy Foster, "This Is Not Populism", Monthly Review, Bd. 69, Nr. 2, Juni 2017; die Seitenangaben im Text beziehen sich auf die Printausgabe. Online...

2: Jean Raspail, Das Heerlager der Heiligen, Verlag Antaios, 2015 [französisches Original 1973].

3: Julius Evola, Den Tiger reiten, Adoria-Verlag 2019; eine vom vorliegenden Text leicht abweichende Übersetzung findet sich in der deutschen Internet-Ausgabe des Buchs Hier...

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Rede von Mumia: "After the Fall" (englisch Original)

[11/19/20. ©'20 Mumia Abu-Jamal]

Meinen Freunden: Wie gehts es Ihnen?

As the froth and bubbling of the American election begins to cool, it is important to give some thought to what has happened here, and what it means both here and abroad, as an advanced capitalist state flirts with neofascism, and is rejected by a plurality of electorate.

We are guided in our thinking here by the relatively recent article by John Bellamy Foster, editor of Monthly Review, who in June 2017 published "This is Not Populism," which provides an historical, ideological and economic perspective to the reemergence in the West of neofascist movements and political tendencies, and why we see this emergence now.

Foster notes the elements of fascism are relatively simple: heightened xenophobia, ultranationalism, roots in the lower middle-class and privileged sectors of the working class and an alliance with monopolistic capital (Foster, 1).

Despite its earliness (a year into the Trump Administration) Foster offers important insights into the nature of fascism, and its intellectual wellsprings from which it spawned, and how it permeated Trumpism. He cites to two major sources: Italian philosopher Julius Evola (1898-1974), who wrote several influential texts; and French writer, Jean Raspail, who wrote the seminal novel, The Camp of the Saints, which threatens of the great unwashed masses of the former Third World invading Europe by the horde.

Foster writes that central figures from the alt-right (Steve Bannon is probably its most prominent example) found a receptive ear in Trump, who consumed conspiracy theories like most people ate lunch.

Evola theorized that fascism could only be built utilizing "impassioned and subintellectual forces" to propel "influence over the masses" (Foster 10). Those "subintellectual forces", Evola theorized, could fuel fascist revolts against democracy, modern notions of progress and science itself. Indeed Foster, quoting Evola's post-war treatise, Ride the Tiger (1961) (1) finds the following insight: "None of modern science has the slightest value as knowledge" (id.).

Evola wasn't just an idle philosopher writing into the air; he knew and worked with Italy's Il Duce, Benito Mussolini, Germany's Der Führer, Adolph Hitler, and their respective political parties. In fact, he regarded Mussolini, the Fascist prime minister of Italy, as insufficiently fascistic in ideology.

His ideas have been reborn in neofascist movements in today's Europe and the United States. They also seem to have found considerable purchase in right-wing audiences, many who have flocked to Trump, and who have ingested his anti-science ideas, like believing the Coronavirus was a "hoax", which would simply dissipate with the warming weather of summer ("subintellectual forces", remember?).

And "subintellectual forces" being present among Trumpites notwithstanding, there is also present awareness that the neoliberals ascendant in the Democratic Party betrayed the white working class when they signed NAFTA (North American Free Trade Agreement), a gift to the financiers on Wall Street, and a dagger in the bowels of American workers.

When Trump railed against NAFTA (and through it the Democratic Party) he endeared himself to American neofascists, like Bannon, who used that betrayal to buttress alt-right support, arguing "the globalists gutted the American working class and created a middle class in Asia" (Foster, 14). The real target was the neoliberal agreement that "gutted the American working class", which really meant the departure of capital from the West to all points Asia: a huge source of cheap labor.

As economic crisis, made plain by the coronavirus, attacks cities in the West, making economic life virtually unsustainable, we see the emergence of neofascist movements among populations, which is essentially a cry for relief to corporate power allied with repressive governments.

Foster reminds us that Nazi Germany, ca. 1938, had achieved full employment, albeit with a system of mass repression that came to be seen as monstrous in scale and scope (Foster, 8). Further, he reminds us that fascism, by its very nature, exists in conformity with capitalism itself.

What we learn from examining the emergence of neo liberalism in the United States, is that its hunger to serve capital could only be met by its concomitant betrayal of labor (this is particularly clear in its adherence to NAFTA, for example), which leads inexorably to the reactive formation of neofascism.

This means that neo liberalism, because of its fealty to capital, is inherently conservative in its political orientation, and failing to serve working class interests, lends luster to neofascist alternatives, with their heightened xenophobia, ultranationalism, lower middle class rank, and, as Evola has noted, their appeal to what he called "impassioned and subintellectual forces". This describes the crowds and millions of voters who lifted Trump's electoral hopes in 2016 and almost secured his reelection.

They attended rallies, often without masks, in the midst of a viral pandemic, giving rise to "super-spreader" events, because their Leader pronounced the virus a "hoax".

Ultimately, then, neoliberalism and neofascism, while seeming to represent polar political opposites, are in fact close relatives who wear different clothes. For when we think of neo liberalism, we see the betrayals of NAFTA and the erection of brutal systems like mass incarceration. While one system shrieks racist outbursts and carries torches, the other one whispers sweet nothings, abolishes jobs and carries big, repressive stick.

For both serve one master: monopoly capital.

Auf Wiedersehen!
Mumia Abu-Jamal


1: Im Original zitiert Mumia irrtümlich ein anderes Buch Evolas, das in Fosters Artikel in derselben Fußnote vorkommt. Das ist hier korrigiert.

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